508. Nachdenkliches für Manager – Stoppsignal 3-90
Dienstag, 20. Oktober 2015 | Autor: intern
Lieber Blog Besucher,
die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.
Stoppsignal
„Marianne Brenk hat uns geschrieben“, sagte meine Frau, als ich vom Büro nach Hause kam, „sie und ihr Mann laden uns zu sich ein, wenn wir am übernächsten Wochenende in Düsseldorf sind. Es bleibt doch dabeit, daß Du zur Messe fährst und mich mitnimmst, oder?“ Ich nickte betont energisch: „Selbstverständlich und auf Ehre!“
Kurt Brenk und ich hatten seit Jahren geschäftlich miteinander zu tun, und auf einem Kongress-Gesellschaftsabend mit Frauen lernten wir uns endlich auch einmal als Ehepaare kennen und verstanden uns spontan.
Es gab eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten und gegenseitigen Ergänzungen, aber über die freundschaftliche Formulierung: „Falls Sie einmal in der Gegend bei uns zu tun haben, wäre es sehr schön, wenn …“ waren wir nicht hinausgekommen. Zu wenig Zeit, zu viel Anspannung und Turbulenz.
Ich freute mich auf das Treffen mit den Brenks und war neugierig auf ihr Heim und ihre Kinder.
Trotz des starken Messeschluss-Verkehrs waren wir auf die Minute pünktlich. Das Haus von Kurt und Marianne Brenk gefiel uns auf den ersten Blick. Alles an ihm war solide und gediegen, kein funktionsloser, modischer Zierrat, keine angeberischen Grenzfälle. Der ganze Bau ruhte in einer fast unauffälligen Harmonie in sich, stand auf dem Grundstück genau an der richtigen Stelle und alle Proportionen stimmten.
Die Begrüßung war zwanglos und herzlich, fast wie unter alten Freunden. Die drei Kinder unbefangen, fröhlich, frei von irgendwelchen Dressurschädigungen, die ehrgeizige Eltern ihnen so gerne mit falschem Stolz zufügen. Alles schien auf eine natürliche Weise perfekt. Ohne Fehl und Tadel?
Während die beiden Frauen mit den Kindern im Haus einen Plausch machten, gingen wir zwei Männer durch den Garten, angelegt und gepflegt durch einen Könner, der mit sicherem Gespür trotz energisch ordnender Hand die Ursprünglichkeit der Natur bewahrte. Ich sagte das zu Kurt Brenk. Er strahlte und entgegnete nicht ohne Stolz, der Gärtner sei er selber. Und so kam das Gespräch auf unsere Hobbies, von dort auf das Geschäft, wie es im Augenblick in der Branche aussah, was wir planten und was wir geschafft hatten. Menschen, die wussten, was sie wollten und was sie konnten.
Gegen Abend versammelten wir uns alle um den großen Bauerntisch im Esszimmer. Kurt Brenk schaute mit einem frohen Lächeln in die Runde, zu meiner Frau, zu der seinen, zu mir, zu seinen Kindern. Er nickte uns zu und sagte: „Guten Appetit“, und als wir alle nach Messer und Gabel griffen, sagte plötzlich eine kleine, entschlossene Stimme: „Halt!“
Es war, als habe man einen Film gestoppt, Stillstandsprojektion. Nur unsere Blicke wanderten zur Urheberin dieser überraschenden Situation, zur jüngsten Tochter, Gabriele, knapp vier Jahre alt. Und in den fragenden Gesichtsausdruck ihres Vaters hinein sagte sie: „Erst müssen wir beten, im Kindergarten machen wir das auch.“
Niemals zuvor hatte ich Kurt Brenk unsicher erlebt, aber jetzt war seine Verlegenheit spürbar. Seine Frau Marianne blinzelte der Kleinen zu: „Machst du es?“
Wir falteten alle die Hände und hörten, wie die Kinderstimme sagte: „Lieber Gott, ich danke Dir für Vati und Mutti und für meine Geschwister und für unseren lieben Besuch, für mein schönes Kinderzimmer und für das gute Essen, Amen.“
„Amen“, sagten wir alle, und es hörte sich nachdenklich an.
Wie vieles hatten wir vorhin im Garten über unsere beruflichen, gesellschaftlichen und sozialen Aktivitäten geredet, und alle unsere Erfolge erschienen uns so selbstverständlich, weil wir tüchtig und engagiert waren. Wir halten es für selbstverständlich, Tag für Tag reichlich Essen auf dem Tisch zu haben, schmackhaft und dekorativ angerichtet. Ein wohnliches, gemütliches Haus zu besitzen. Gesunde, fröhliche Kinder zu haben, eine liebenswerte Ehefrau, ein gesichertes Einkommen, und wir denken nicht mehr darüber nach, dass alles das eben nicht selbstverständlich ist. Fühlen wir uns zu sicher? Macht uns das vergesslich, gleichgültig, undankbar?
Hat Gott deshalb seinem Volk Israel beim Einzug in das Gelobte Land die warnende Mahnung mitgegeben: „Wenn du gegessen hast und satt bist, dir schöne Häuser baust und darin wohnst, sich dein Vermögen und dein Besitz mehren, dann achte darauf, dass dein Herz nicht überheblich wird und sagt: Meine Kräfte, meine Tüchtigkeit haben das alles geschaffen. Sondern gedenke an Gott, deinen Herrn, denn er ist es, der dir die Kraft gegeben hat!“
Sollten wir Grossen in manchen Beziehungen wieder werden wie die Kinder?
Uns herunterbücken auf das Niveau ihrer Perspektive? Wo uns nicht die Höhenluft des Erfolges, unserer Bedeutung und unserer Tüchtigkeit die selbstkritische Objektivität vernebelt?
Müssen wir vorzeigbaren, aufgeklärten und so selbstbewussten Geschäftsleute wieder neu von den Kindern lernen, was Gott gegenüber Dankbarkeit heißt?
Karlheinz Binder