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468. Nachdenkliches für Manager – Aus der Spur geraten 4-96

Sonntag, 18. Oktober 2015 | Autor:

Lieber Blog Besucher,

die tiefsinnigen Gedanken von Karlheinz Binder haben mich viele Jahre erfreut und immer wieder zum Nachdenken angeregt. Genießen Sie diese Worte und nehmen Sie davon etwas in Ihrem Alltag mit.

 

 

 

Aus der Spur geraten

Die Fußgängerampel sprang auf Rot. Ich fuhr langsam heran an den Überweg und erkannte plötzlich unter den Passanten Yvonne, die Schwester von der chirurgischen Abteilung des örtlichen Krankenhauses. In den drei Jahren, die ich sie nicht gesehen hatte, war sie noch hübscher geworden. Ich winkte ihr zu, aber der Gruß blieb unbemerkt.
Meine Gedanken wanderten die 36 Monate zurück: Ich hatte damals Schmerzen bekommen, mein Hausarzt schickte mich zum Facharzt in die Klinik und der sah mich nach der Untersuchung freundlich an und sagte: „Wir müssen operieren und zwar schnell. Sie finden sich am Mittwoch hier ein, dann treffen wir alle Vorbereitungen und Donnerstagfrüh sind Sie dran“.
Er machte sich in seinem beeindruckenden DIN-A4-Kalender eine Notiz und als ich in die Brusttasche nach meinem eigenen Planer griff, lächelte er mich in einer Art an daß ich wußte: Hier war nichts abzustimmen, es hatte keinen Zweck Termine zu vergleichen, das war entschieden.
Wir klappten unsere Bücher zu, gaben uns die Hand und ich ging.
Im Büro schaute ich auf meinen Tagesplänen nach, was für die nächsten Wochen anstand und unter dem Druck höherer Gewalt fügte sich plötzlich alles ganz einfach: Die Konferenz am 17. würde auch ohne mich laufen, den Inhalt einer Geschäftsreise erledigte ich durch ein 5-Minuten-Telefonat, andere Anlässe delegierte ich an Mitarbeiter und Kollegen und erntete hier und da ein freudiges Lächeln über den Vertrauensbeweis und als alles geklärt war fragte ich mich nachdenklich, ob eigentlich erst so etwas notwendig ist, um unsere Wichtigkeit und Bedeutung auf das Wirkliche zu reduzieren.

Als sie mich mit meinem Klinikbett durch die sich leise surrend öffnende Tür in der Operationssaal fuhren, war ich noch ganz der alte. Ich scherzte mit dem Anästhesisten, machte dem Chefarzt ein Kompliment über seinen grünen, offensichtlich maßgeschneiderten Kittel und fühlte mich wie immer, als einer, der gut trainiert war, körperlich fit.
Meine letzte Wahrnehmung bestand in einer Stimme, die zu mir sagte: „Machen Sie schon mal die Augen zu, gleich werden sie schlafen“ und dann versank ich in samtene Dunkelheit.

Als ich wieder aufwachte, schien die Sonne ins helle Zimmer, ich hatte keine Schmerzen, aber meine Kraft war weg.
Seltsam, dachte ich, da kommt plötzlich eine Situation in unser Leben, unerwartet, unangemeldet, reißt uns aus unserem Rhythmus, unserem Selbstverständnis, dem gewohnten Rahmen, zwingt uns eine veränderte Umgebung, Geltung, einen anders gültigen Stellenwert auf, innerhalb von ein paar Stunden wandelt sich ein Mensch vom Bestimmenden zum Duldenden. Einer, der sonst auf seine Energie und Tüchtigkeit als Normalität vertraut, wird zum Abhängigen. Da zeigt es sich: Die Fundamente unserer gewohnten Sicherheiten sind viel dünner als vermutet. Eine Krankheit, ein unachtsamer Augenblick hinter dem Steuer, ein falscher Tritt auf einer Treppenstufe, selbst ein falsches Wort im falschen Augenblick können zu einem eigendynamischen sozialen oder biologischen Prozeß werden, zur verändernden Weichenstellung ins nicht mehr durch uns selbst Planbare.
Ich beobachtete die freundlichen Ordensschwestern in ihren weißen Trachten, mit ihrer gütigen Freundlichkeit, ihren fleißigen, helfenden Händen, die nur deshalb so unermüdlich sein konnten, weil sie in der unsichtbaren Verborgenheit unablässig zum Gebet gefaltet waren. Die deshalb Herzlichkeit ausstrahlten, weil ihre Liebe aus dem Wissen stammte, daß da einer war, der seinen Leuten gesagt hatte: „Liebet einander, wie ich Euch geliebt habe“, Jesus Christus. Ihre Lebensaufgabe ist das Dienen, eine Gabe Gottes, aber wer strebt schon nach ihr.
Ist nicht Befehlen, Anordnen, Dirigieren, viel attraktiver, erhebender? Das ist doch etwas anderes, als jemand die Bettpfanne unterzuschieben, ihm den Rücken mit Franzbranntwein einzureiben, die Arme und Achselhöhlen zu waschen?
Gehört Krankheit, das Zurückgeworfensein auf unsere vergängliche Physis, dazu, wieder Mensch zu werden?

Da fühlen wir Verantwortlichen, Tonangeber, Opinion-Leaders uns so sicher in unser Art und Wichtigkeit, wir achten darauf, daß unser Image stimmt, man uns die Beachtung schenkt, die uns zukommt, wir wirken entschieden, dynamisch, überzeugend, vertrauenerweckend und schätzen uns selber auch so ein und dann wirft uns irgend ein Ereignis aus dem so spursicheren Selbstverständnis.

Was hatte Yvonne, die hübsche Krankenschwester gesagt, als sie den Kopf durch die Tür meines Zimmers steckte?: „Sind Sie der Karlheinz Binder, der in „Geschäftsmann und Christ“ Artikel schreibt? Ich hatte mit dem Kopf genickt und mit einem herzlichen Gefühl der Dankbarkeit an die Chefredaktion in Zürich gedacht, die sich durchgerungen hatte, von mir endlich ein Foto zu bringen, auf dem selbst ich mich wiedererkannte.
„Dann schreiben Sie doch mal“ meinte Yvonne, „etwas über Ihre Zeit hier im Krankenhaus, denn wenn es Situationen gibt, die Menschen nachdenklich machen könnten, dann doch wohl hier, oder?“
„Ja“, sagte ich zu ihr, „ich werde einen Artikel schreiben und Sie kommen darin vor“.
Wie immer Sie heißen, ich grüße sie herzlich und mit einer besonderen Empfehlung von Yvonne.

Karlheinz Binder

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Thema: Christliche Seite

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